Geschichte und nähere Erläuterungen zur Technik

Ton-Gott" Gary Rydstrom im Einsatz

Eigentlich begann alles damit, dass der berühmte und hoch angesehene Tonabmischer Gary Rydstrom ("Saving Private Ryan","Terminator II: Judgment Day", "Titanic", "Jurassic Park", "Jurassic Park – The Lost World", "Star Wars: Episode I – The Phantom Menace", Star Wars: Episode II – Attack of the Clones, "The Haunting" etc.) von Skywalker Sound (A Division of Lucasfilm Ltd.) wieder einmal am Abmischen eines neuen Filmes namens "Jurassic Park – The Lost World" war. Und wieder einmal war er nicht ganz zufrieden mit dem hinteren Surroundbereich, da seiner Meinung nach immer ein "Tonloch" zwischen den beiden Rearspeakern vorhanden war und so eine 360°-Wiedergabe des Tones verunmöglichte. Ebenfalls wollte er endlich Effekte direkt hinter dem Zuschauer platzieren, was mit den 5.1-Formaten (Dolby Digital 5.1, DTS 5.1, SDDS 5.1) bisher nicht möglich war. Gary Rydstrom fühlte sich deshalb mit den herkömmlichen 5.1-Formaten eingeschränkt und suchte nach einer Lösung, die seinem Wunsch nach einer möglichst realistischen Tonkulisse gerecht wurde.

Er suchte daher Kontakt auf bei der Firma THX (damals noch zu Lucasfilm Ltd. gehörend), welche schon für einige Innovationen im modernen Kino sorgte und immer an vorderster Front war, wenn es um die beste Ton- und Bildqualität im Kino wie auch Zuhause ging. THX willigte natürlich sofort ein und suchte Kontakt auf mit den Anbietern der drei bekanntesten Tonformate im Kino: Dolby Digital von den Dolby Labs., DTS (Digital Theater Systems) von DTS Tech. und SDDS (Sony Dynamic Digital Sound) von Sony. Die Leute THX stiessen aber zuerst auf Ablehnung, da keine der drei Firmen mitmachen wollte. Es ging aber nicht lange bis die Dolby Labs. sich dann doch entschlossen, ein neues Tonformat auf die Beine zu stellen. Das gerade Dolby zusammen mit THX ein neues Format ins Leben rief, ist eigentlich nicht weiter erstaundlich, da schon seit einigen Jahren ein gutes Verhältnis zwischen den beiden Firmen bestand und sicherlich auch, weil Dolby dem grössten Konkurrenten DTS wieder einmal einen Schritt voraus sein wollte. Da Dolby Digital jedoch bezüglich der vollwertigen (diskreten) Kanäle beschränkt ist, musste nach einer Lösung gesucht werden, die auf dem alten Format Dolby Digital 5.1 (auch bekannt als AC-3) basierte und trotzdem einen weiteren Kanal bereit stellen konnte. Die Dolby-Leute griffen dabei auf die altbewährte Matrix-Technologie zurück, welche bereits schon lange bei Dolby Surround zum Einsatz kommt und den (vorderen) Center aus dem Stereosignal filtert. Der Center-Kanal wird dabei beim codieren in Dolby Surround durch Phasenverschiebung in die Stereokanäle codiert. Genau so funktioniert dies auch bei dem neuen Format: Das Signal des hinteren mittleren Kanals, auch Back-Surround genannt, wird in die beiden hinteren Surroundkanäle codiert und vom entsprechenden Decoder wieder decodiert. Das verwendete Verfahren wird als "matrix-encoding" bezeichnet. Es handelt sich somit nicht um einen diskreten (vollwertigen, unabhängigen) Kanal.

Mit der Premiere von "Star Wars: Episode I – The Phantom Menace" hielt dann 1999 ein neues Tonformat namens Dolby Digital Surround EX (EX steht für "Extended", also "erweitert") Einzug in die Kinos. Das Format durfte zu seinem Siegeszug im Kino ansetzen: Laut einer Studie von Dolby hat sich nämlich noch nie ein Format so schnell in den Kinosälen durchgesetzt, wie Dolby Digital Surround EX und dies, obgleich das Spielfilmangebot in diesem Format (noch) relativ spärlich ausfällt. Interessanterweise dauerte es nicht lange bis auch DTS, welche zuerst nichts von Extended-Surround wissen wollten, mit einem neuen Format namens DTS-ES (ES für Extended-Surround) die Bühne betrat. Das DTS-Format wurde eigentlich schon von Anfang so konzipiert, dass bis zu 10 Kanäle möglich wären. Trotz dieser Möglichkeit wählten auch sie eine matrix-basierende Variante. Dieses Format ist bei den Kinofilmen aber längst nicht so verbreitet wie das "Urformat" Dolby Digital Surround EX.

Die Firma Sony mit ihrem Format SDDS hielt es nicht für nötig auf den Extended-Surround-Zug aufzuspringen und beliess ihr Format wie es war. Sie hielten es wohl nicht für nötig, da ihr Format sowieso schon 8-Kanal-Wiedergabe in den Kinos unterstützte. Jedoch sind hier die weiteren zwei Kanäle nicht hinten, sondern vorne zu finden und sollen so einen erweiterten Stereobereich ermöglichen. Meistens wird SDDS jedoch in 5.1 vorgeführt, da selten ein Film in 7.1 abgemischt wird. Deutsche Filme in 7.1 sind noch seltener, da die Synchronfassung vielfach nur in 5.1 vorhanden sind. Interessanterweise lässt sich der hintere Kanal mit dem Kino-EX-Decoder von Dolby aus dem SDDS-Datenstrom rauslesen und somit ist im Kino sogar 7.1 EX (= 9 Kanäle) Wiedergabe möglich! Der Grund dafür ist so einfach wie genial: Meistens existiert nur ein Tonmaster, welches dann als Ausgangsmaterial für alle Tonformate benutzt wird. So haben alle digitalen Tonformate wie Dolby Digital, SDDS und DTS die gleiche Ausgangsquelle. Der matrixcodierte Kanal wird beim Codieren in die Formate nicht rausgelöscht und ist somit bei allen Formaten vorhanden. Das Master für Abmischungen in Dolby Digital Surround EX und DTS-ES liegt übrigens immer in diskreter Form vor und wird nachher in die beiden Surroundkanäle codiert. Somit könnte früher oder später jeder dieser Filme seinen Weg in DTS-ES 6.1 Discrete auf die DVD finden.

Es ging nicht lange bis auch der Homecineast in den Genuss der Extended-Surround-Formate kam. Einige Surroundfreaks, die nicht warten konnten, bastelten sich vorab aus ihren alten Dolby Surround ProLogic-Receivern ihren eigenen Matrixdecoder für den Back-Surround, was auch zu recht guten Resultaten führte. Die ersten echten Receiver und Verstärker mit Decoder für Dolby Digital 5.1 EX kamen etwa ein Jahr nach der Premiere von "Star Wars - Episode I - The Phantom Menace" auf den Markt. Das Format heisst übrigens aus folgenden zwei Gründen NICHT (wie vielfach verwendet) DD 6.1 EX: Erstens ist der Back-Surround nicht diskret vorhanden und zweitens würde 6.1 EX 8-Kanal-Wiedergabe bedeuten, da EX für den weiteren Kanal steht.

Bei den ersten Receivern handelte es sich jedoch nur um solche mit dem begehrten THX-Ultra-Zertifikat, da die beiden Entwicklerfirmen sich die Lizenz teilten. Deshalb warben die Hersteller zuerst auch immer mit THX Surround EX. Alle anderen Hersteller, ohne THX-Ultra-zertifizierte Receiver und Verstärker, mussten zuerst in die Röhre gucken. So ziemlich die erste Firma mit Receivern und Verstärkern mit Decoder für DD 5.1 EX war wieder einmal mehr die japanische Firma Denon. Auch heuten noch gilt: Wer wissen will, was der neueste Schrei punkto Surround-Sound ist, der muss man nach dieser Marke schielen. So schnell wie die fleissigen Japaner ist keiner! Der erste offizielle deutsche DVD-Titel in Dolby Digital 5.1 EX war übrigens "Toy Story II" (hier noch mit dem Dolby Digital Surround EX Signet, welches eigentlich dem Kino vorbehalten ist).

Bald darauf folgten "The Perfect Storm" und der erste deutschsprachige Film in DD 5.1 EX: "Käpt’n Blaubär". (auch hier unkorrekterweise als DD EX 6.1 bezeichnet) Die ganz erste DVD mit einer Tonspur in DD 5.1 EX war "Austin Power – The Spy who Shagged Me" (RC1 Amerika). Diese wurde aber noch nicht offiziell gekennzeichnet.

Dolby und THX hatten aber nicht lange das Extended-Surround-Monopol, da bald DTS mit seinem Format DTS-ES auf den Markt kam. DTS setzte gleich noch einen drauf und brachte neben dem Dolby Digital 5.1 EX ähnlichen DTS-ES 6.1 Matrix noch DTS-ES 6.1 Discrete auf den Markt. Obwohl auch bei DTS-ES 6.1 Matrix der Back-Surround nicht in diskreter Form vorhanden ist, nannte DTS sein Format DTS-ES 6.1 Matrix und nicht DTS-ES 5.1 Matrix. Bei DTS-ES 6.1 Discrete hingegen kann man tatsächlich von einem diskreten 6.1-Format sprechen, da sämtliche Kanäle voneinander unabhängig auf der Disc gespeichert sind und somit den Matrixvarianten DD 5.1 EX und DTS-ES 6.1 Matrix überlegen ist, da die damit verbundene erweiterte Bandbreite für den Back-Surround auch voll ausgenutzt wird. Trotzdem hat die Sache einen kleinen Hacken: Damit DTS-ES 6.1 Discrete auch abwärtskompatibel zu DTS-ES 6.1 Matrix bleibt, muss das Matrix-Signal auch in den DTS-ES 6.1 Discrete Tracks vorhanden sein. Ein DTS-ES 6.1 Discrete-fähiger Sound-Prozessor filtert dieses Signal dann wieder heraus, da dieser die Informationen für den Back-Surround-Kanal ja über den neuen siebten Kanal bezieht. Die Konsequenz: DTS-ES 6.1 Discrete ist nicht so sauber und diskret wie der Name vermuten lässt. Trotzdem hat DTS-ES 6.1 einen Klangvorteil gegenüber seinen Pendants. Wohl dürfte dieser Klangunterschied relativ klein ausfallen und für den Laien so gut wie nicht hörbar sein, aber für Surroundfreaks bedeutet DTS-ES 6.1 Discrete das Nonplusultra.

Die erste europäische DVD in diesem Format war übrigens "Sleepy Hollow" (RC2 Deutschland), welche auch heute noch als Tonreferenz-DVD gilt und die allererste Disc in DTS-ES 6.1 Discrete war der Tonkracher "The Haunting" (RC1 Amerika). Die erste deutsche Disc in DTS-ES 6.1 Matrix mit "korrekt" gesetztem Flag dürfte wohl "The Fifth Element" sein, der laut Cover eigentlich in DTS-ES 6.1 Discrete erscheinen hätte sollen. DTS-ES war nicht unter der Lizenz von THX und somit konnte jeder (nachdem die Lizenz bei DTS gelöst wurde) Receiver und Verstärker das begehrte DTS-ES-Logo auf seiner Front tragen. Einige Hersteller (Sony, Yamaha, Sherwood), welche die teure THX-Zertifikation nicht zahlen wollten, entwickelten auch ihre eigenen Decoder für DD 5.1 EX. So nannte z. B. Sony seinen Decoder "Virtual Matrix 6.1". Dolby war natürlich nicht glücklich über die Vorgehensweise der Hersteller und konnte THX überreden, die Lizenz freizugeben. Von nun an hiess das Format Dolby Digital EX. So durften dann auch Firmen wie Sony, Panasonic und JVC ihre Receiver/Verstärker mit dem Dolby Digital EX Logo versehen. Interessanterweise war die Firma Sony der erste Hersteller von Receivern mit Dolby Digital EX ohne die THX-Lizenz. Ohne diese Vorgehensweise von Dolby wäre das Format wahrscheinlich sehr schnell wieder von der Bildfläche verschwunden. Bald folgte auch die erste Soundkarte Soundblaster Audigy 2 Platinum EX mit DD EX von CreativeLabs. Soundkarten in DTS-ES 6.1 Matrix und Discrete gibt es komischerweise bis dato noch keine. Auch Soundkarten mit Decoder für DD 5.1 EX gibt es bisher nur sehr wenige.

Zu einem kleineren Eklat kam es, als die Receiver (vor allem Denon, Onkyo und Kenwood) einiger Hersteller nicht gut zu sprechen waren auf die Dolby Digital 5.1 EX Flags. Die DTS-ES-Flags verursachten unseres Wissens nie Probleme. Viele Receiver verweigerten nämlich wegen des Flags die Wiedergabe oder es gab immer wieder Tonunterbrüche während der Wiedergabe. Es handelte sich dabei vor allem um Geräte der Firmen Denon, Onkyo und Kenwood, welche mit einer bestimmt Revision des vielfach verwendeten Crystal-DSP-Chips ausgestattet waren. So riet Dolby den DVD-Herstellern, vorläufig keine Flags mehr zu setzten. Dolby konnte das Problem zwischenzeitlich lösen, indem einfach ein neuer Flag entwickelt wurde, der auf (fast) alle Receiver gut zu sprechen ist (neue Modelle alle). Viele Receiver liessen sich auch Updaten oder man konnte den Chips auswechseln lassen. Auf jeden Fall scheint das Problem gelöst zu sein und so setzen auch viele DVD-Hersteller in letzter Zeit wieder den Flag ein. Die erste deutsche Disc mit einem Flag für DD 5.1 EX war übrigens "Atlantis – The Lost Empire" gefolgt von "Lord of the Rings – The Fellowship of the Ring".

Heute sind fast alle neuen Geräte der namhaften Hersteller mit Decodern für Dolby Digital 5.1 EX, DTS-ES 6.1 Matrix und DTS-ES 6.1 Discrete ausgerüstet. Eine der wenigen Ausnahmen bildet der niederländische Konzern PHILIPS, der bis heute noch keinen Receiver mit Decoder für die Extended-Surround-Formate anbietet. Abgesehen von dieser Ausnahme bekommt man heute fast von jedem Hersteller in jeder Preiskategorie Receiver und Verstärker mit Decoder für die Extended-Surround-Sound-Formate und immer mehr Blockbuster werden in diese Formate abgemischt. ("Star Wars: Episode I – III", "Lord of the Rings I – III", "James Bond", "Harry Potter", "The Hulk" etc.) Auch wurden schon viele Tonspuren von Filmen neu in in DD 5.1 EX und/oder DTS-ES 6.1 abgemischt (bezeichnet als "Remixes") und auf DVD veröffentlicht. Die Zukunft für EX/ES sieht also vor allem auf dem Heimkinomarkt recht gut aus, obwohl immer noch zu wenig neue Filme in Extended-Surround abgemischt werden.

Text von www.dvdsurround.ch